Pädagogik der Vielfalt: Ein Interview mit den Kitas „Rosarote Tiger“ und „Gelbgrüne Panther“

Erzieherin liest den Kindern etwas vor. Die Erzieherin sitzt auf einem gelben Sitzsack. Um sie herum sind 5 Kinder, die ihr gebannt zuhören.

Wir haben ein spannendes Interview mit Jörg Duden und Maria Rojas Brahm von der Schwulenberatung Berlin geführt. Die Schwulenberatung Berlin engagiert sich seit über 40 Jahren für die Unterstützung und Beratung von LGBTQ+ Personen und betreibt den „Lebensort Vielfalt“ in Berlin – ein einzigartiges Projekt, das generationenübergreifendes Wohnen und ein vielfältiges Miteinander fördert.

Seit 2023 betreibt die Schwulenberatung Berlin auch zwei Kitas: die “Rosarote Tiger” und “Gelbgrüne Panther”. Diese Kitas zeichnen sich durch ein besonderes pädagogisches Konzept aus, denn hier wird die sogenannte „Pädagogik der Vielfalt“ gelebt. Wir fanden dieses Konzept so spannend, dass wir mal genauer nachgefragt haben, was darunter zu verstehen ist und was andere Kitas und Eltern ggf. von ihnen lernen können. Im Interview geben Jörg und Maria einen Einblick in ihre Vision, ihre pädagogischen Ansätze und die positiven Auswirkungen auf die Kinder.

Was war die ursprüngliche Vision hinter der Gründung der genderneutralen Kitas “Rosarote Tiger” und “Gelbgrüne Panther“?

Die ursprüngliche Vision hinter der Gründung der genderneutralen Kitas „Rosarote Tiger“ und „Gelbgrüne Panther“ entsprang einer Notwendigkeit, die in unserer täglichen Arbeit bei der Schwulenberatung Berlin deutlich wurde. Oftmals haben wir in Krisensituationen festgestellt, dass Identitätskonflikte eine große Rolle spielen. Viele Menschen leiden darunter, dass ihre Identität nicht anerkannt oder sogar abgelehnt wird. Unsere Kitas sollen daher von Anfang an ein Umfeld schaffen, in dem Vielfalt und unterschiedliche Lebensweisen als selbstverständlich akzeptiert werden. Wir möchten ein Spannungsfeld auflösen, in dem es einerseits um Selbstverständlichkeit geht, aber gleichzeitig um die Besonderheit und Bedeutung von Vielfalt. Dieses Konzept basiert auf der Idee, dass jedes Kind die Freiheit haben sollte, sich selbst ohne Einschränkungen und Vorurteile zu entfalten und zu erkennen, wie bunt das Leben ist.

Wie definiert ihr „Pädagogik der Vielfalt“ und welche konkreten Methoden setzt ihr ein, um diese umzusetzen?

Unsere Pädagogik der Vielfalt basiert auf dem Prinzip der Vorurteilsfreiheit. Kinder sind von Natur aus offen und neugierig; es ist die Gesellschaft, die ihnen Stereotypen und Vorurteile vermittelt. In unserer Kita setzen wir daher auf ein Umfeld, in dem alle Lebensformen und kulturellen Hintergründe respektiert und integriert werden. Wir folgen dabei den Vorgaben des Berliner Senats und dem Berliner Bildungsprogramm, das wir konsequent umsetzen. In unserer Kita achten wir außerdem darauf, traditionelle Geschlechterrollen zu hinterfragen und vielfältige Identitäten zu fördern. Wir wählen unsere Bücher, Spiele und Materialien sorgfältig aus, um eine breite Palette von Lebensrealitäten darzustellen. Unsere Erzieher*innen verwenden eine inklusive Sprache und setzen bewusst gendersensible Begriffe ein. Selbst in alltäglichen Situationen, wie beim Beobachten einer Baustelle, sprechen wir von Bauarbeiter*innen – auch wenn dort z.B. vermeintlich nur Bauarbeiter zu sehen sind. Unser Ziel ist es, den Kindern zu vermitteln, dass alle Berufe und Rollen für alle Menschen zugänglich sind, unabhängig von ihrem Geschlecht. Diese Praxis wird durch unser umfassendes Schutzkonzept ergänzt, das die Sicherstellung der Rechte und das Wohlergehen der Kinder in den Mittelpunkt stellt.

Gibt es bestimmte Checklisten nach denen sich im Kita Alltag orientiert wird oder nach denen Spiel- sowie Lehrmaterialien ausgewählt werden?

Aktuell haben wir keine festen Checklisten für unsere Arbeit oder die Auswahl unserer Spiel- und Lernmaterialien. Vieles geschieht im direkten Austausch und Feedback innerhalb unseres Teams. Wir sind ständig bestrebt, neue Wege zu finden und lernen natürlich auch kontinuierlich dazu. Daher wären es Checklisten in Kitas sicherlich hilfreich, um einen Rahmen zu schaffen, der die Vielfalt an Lebensrealitäten greifbar macht. Selbstreflexion ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung!

Wie bindet ihr Eltern in das Konzept der Kita ein und wie unterstützt ihr sie dabei, das Thema Vielfalt auch zu Hause weiterzuführen?

Wir binden die Eltern aktiv in das Konzept unserer Kita ein, indem wir regelmäßige Elterncafés veranstalten, sowohl zu offenen Themen als auch zu spezifischen Anliegen. Wir bieten Flyer und Informationsmaterial an und haben einen kontinuierlichen Austausch mit Elternvertreter*innen. Unser Ziel ist es, den Eltern das notwendige Wissen zu vermitteln, um ihre Kinder auch zu Hause in der Vielfaltserziehung zu unterstützen. Wir möchten ihnen helfen, ihren Kindern den Rücken zu stärken, damit sie, wenn sie Gendermarketing und Stereotypen begegnen, souverän damit umgehen können.

Welche Rückmeldungen habt ihr bisher von Eltern und Kindern erhalten, die eure Kitas besuchen? Gibt es auch negatives Feedback aus dem weiteren Umfeld bzw. der Gesellschaft?

Die Rückmeldungen von Eltern und Kindern, die unsere Kita besuchen, sind durchweg positiv. Eltern berichten uns, dass ihre Kinder die Kita gerne besuchen und sich in der inklusiven Atmosphäre wohlfühlen. Allerdings gab es auch einige negative Reaktionen aus der Gesellschaft, wie etwa Schmierereien an unseren Wänden oder sogar eine Demonstration, die den Start unserer Kita hier in Berlin Schöneberg verhindern wollte. Trotzdem überwiegt das positive Feedback, auch von politischen Vertreter*innen und der Nachbarschaft. Unsere Wartelisten zeigen, dass es einen großen Bedarf und ein hohes Interesse an unserem Konzept gibt.

Welche positiven Auswirkungen auf bzw. Entwicklungen von Kindern konntet ihr beobachten, die eure Kitas besuchen? Vielleicht auch bei Kindern, die erst mit 3 oder 4 zu euch kommen?

Glückliche Kinder, die gerne in die Kita kommen, sind für uns das schönste Feedback und Kompliment. Darüber hinaus ist es schwierig, spezifische Entwicklungen isoliert zu betrachten. Aber wir beobachten, dass Kinder, die unsere Kita besuchen, eine Normalität im Umgang mit Vielfalt entwickeln. Ein Beispiel ist ein Kind, das ganz selbstverständlich reagierte, als es erfuhr, dass ein Mann am Telefon „Ich liebe dich“ zu einem anderen Mann sagte. Solche Reaktionen zeigen, dass Kinder früh sensibilisiert werden und diese Offenheit in ihr weiteres Leben mitnehmen. Unser Wunsch ist es, dass diese Kinder, wenn sie zur Schule gehen und erwachsen werden, offen und selbstbewusst sind, für andere einstehen und positive Erfahrungen mit diversen Identitäten gemacht haben.

Welche Pläne habt ihr  für die Weiterentwicklung der Kitas “Rosarote Tiger” und “Gelbgrüne Panther“? Stichwort: Modell-Kita: ist in diese Richtung etwas geplant?

GEs gibt erste Überlegungen, mehr Kitas nach unserem Modell zu eröffnen – aber derzeit gibt es keine konkreten Pläne. Wir konzentrieren uns darauf, unsere bestehenden Einrichtungen zu stärken und vielleicht irgendwann auch als Vorbild für andere Kitas zu dienen.

Welchen Beitrag leisten eure Kitas eurer Meinung nach zur Schaffung einer ihrSie flächendeckend an „durchschnittliche deutsche Kitas“ denkt? Was müsste sich ändern? Welche Zukunft malt ihr euch für die Kindergartenkinder von morgen aus?

Unsere Kitas leisten einen bedeutenden Beitrag zur Schaffung einer gleichberechtigten und vielfältigen Gesellschaft, indem sie bereits den Jüngsten zeigen, dass Vielfalt in jedem Bereich des Lebens nicht nur normal, sondern bereichernd ist. Unser konzeptioneller Ansatz unterscheidet sich nicht maßgeblich von anderen Kitas – aber die Tatsache, dass wir eine queere Organisation mit queeren Mitarbeitenden sind, macht natürlich schon einen Unterschied zu vielen anderen Einrichtungen. Wir sind aber nicht missionarisch unterwegs, sondern möchten einfach einen guten Kita-Alltag auf die Beine stellen. Aktuell betreuen wir 93 Kinder, die wiederum Eltern, Tanten, Onkel, Großeltern und Freunde haben. Diese Verbindungen führen zu Gesprächen und Austausch in vielen Kreisen, was wiederum Sichtbarkeit schafft und das Bewusstsein für diese Themen erhöht. Unser Wunsch ist, dass in der Zukunft alle Kinder die Möglichkeit haben, in einem Umfeld aufzuwachsen, das ihre Identität respektiert und fördert, unabhängig von traditionellen Geschlechterrollen und Stereotypen.

Jörg Duden, Soczialarbeiter/Sozialpädagoge, Leitung Abteilung Eingliederungshilfe, Schwulenberatung Berlin

Maria Rojas Brahm, Soczialarbeiter/Sozialpädagoge, Leitung Abteilung Eingliederungshilfe, Schwulenberatung Berlin

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