Mein Mann und ich hätten nicht unterschiedlicher aufwachsen können. Er wurde geprägt von einer stereotypischen Erziehung, während ich eine gendersensible Pädagogik erfahren durfte. Obwohl unsere Eltern ähnliche gesellschaftliche Muster aufwiesen – Mutter kümmert sich um das Kind und Vater geht arbeiten – hatte ich den Vorteil des Einzelkindes. Mein Vater zeigte mir, wie man im Wald schnitzt, Computer auseinandernimmt, führte mich in die Star-Wars-Filme ein und baute mit mir Modelle. Meine Mutter spielte Rollenspiele mit mir und erfüllte mir meine Frisurenwünsche. Mein Kinderzimmer war bunt und mein Geschlecht irrelevant! Ich liebte Barbies, Autos, Dinos und Puppen und zog mich an, wie ich wollte. Ich wuchs mit dem Glauben auf, dass ich alles erreichen kann, wenn ich es möchte und daran arbeite. Dieses Privileg war mir nie bewusst, weil es selbstverständlich war.
Erst als ich schwanger war und bemerkte, dass mein Kind bereits im Bauch in eine geschlechtsspezifische Rolle gedrängt wurde, beschäftigte ich mich intensiver damit.
Mein Kind soll sich frei entfalten können, und niemand soll aufgrund des Geschlechts Eigenschaften zusprechen oder aberkennen. Mein Beschützerinneninstinkt war geweckt, und ich begann mich zu fragen, wie ich es vor diesen Vorurteilen bewahren könnte. Ich hörte auf, ihr Aussehen zu kommentieren, und lobte sie stattdessen für ihren Mut und ihr Selbstbewusstsein. Schon früh sollte sie selbst entscheiden, was sie anziehen möchte, und ich bot ihr die gesamte Kinderabteilung an. Und mein Mann?
Sein Kind darf alles machen, jedoch kein Fußball spielen, weil er Frauenfußball schlimm findet. Bitte? Ich war schockiert über diese Aussage und wusste, dass meine eigentliche Arbeit nicht bei meinem Kind liegt, sondern bei ihm und seiner jahrelangen stereotypischen Erziehung. Zum Glück ist mein Mann sehr intelligent und kann sich durch Impulse gut selbst reflektieren. Nach einem langen Gespräch fragte ich ihn: „Warum möchtest du deinem Kind nicht die gesamte Welt zu Füßen legen, sondern einen Filter drüberlegen?“ Diese Frage brachte ihn zum Nachdenken und wir begannen, gemeinsam an unseren Einstellungen zu arbeiten.
Unser Kind darf sich die Welt bunt gestalten! Die Beschützerin in mir hat jedoch viel Arbeit, denn die Kita, das Gender-Marketing, stereotypische Denkweisen von nahestehenden Personen und sicherlich auch unsere unbewussten Vorurteile nehmen Einfluss auf unser Kind. Umso glücklicher bin ich, dass wir gemeinsam aufklären können und hoffentlich die Filter „Mädchen“ und „Jungen“ löschen.
Diese Reise hat nicht nur unser Kind, sondern auch uns als Eltern verändert. Wir sind bewusster im Umgang mit Geschlechterrollen und bemühen uns, ein Umfeld zu schaffen, in dem unser Kind frei und unvoreingenommen aufwachsen kann. Wir sind entschlossen, diese Veränderung in unserem Alltag zu leben und hoffen, dass unser Kind davon profitiert und seine Träume ohne Einschränkungen verfolgen kann.