Wege aus dem Rosa-Hellblau-Klischee: eine kurze Einführung in die geschlechter­sensible Pädagogik

Sechs Kinder tanzen in einer Gruppe. Es sind Jungen und Mädchen gemischt im Alter von ungefähr 4 Jahren.

Fangen wir mit den gesetzlichen Rahmenbedingungen an, den Lehr- und Bildungsplänen der Bundesländer: da wird geschlechtersensible Pädagogik übereinstimmend als eine der Kernaufgaben benannt, sowohl in der alltäglichen Arbeit mit den Kindern, aber auch im Austausch innerhalb des Teams. Nun kommt geschlechtersensible Pädagogik in der Ausbildung und auch später in den Fortbildungsprogrammen aber zu selten, wenig umfangreich und bisweilen sogar gar nicht vor. Die Politik macht es sich da offensichtlich zu einfach. So ein Absatz ist eben schnell in ein Gesetz geschrieben, bleibt aber wirkungslos, solange nicht auch die konkrete Umsetzung gewährleistet wird. 

Wir sind alle in diese Gesellschaft hinein sozialisiert, die so großen Wert darauf legt, die Lebensbereiche und Menschen streng nach Geschlecht zu trennen. Und die sogenannten Baby-X-Studien zeigen deutlich, wie wir Erwachsenen diese unterschiedlichen, tief verinnerlichten Erwartungshaltungen und Rollenbilder schon an ganz kleine Kinder weitergeben und damit erschweren, dass sie ihre Persönlichkeiten frei entfalten können.

Bereits in den 1970er Jahren wurden die ersten Baby-X-Studien durchgeführt, das Wissen um die Ungleichbehandlung von Kindern ist also schon sehr alt. So beobachteten Seavey, Katz, and Zalk bereits 1975, dass Erwachsene verschiedenes Spielzeug auswählten, wenn sie mit einem drei Monate alten Kind spielten – abhängig davon, ob sie glaubten, sie hätten ein Mädchen oder einen Jungen vor sich. Das Kind im gelben Strampler wurde einem Drittel der Proband*innen als Mary, einem zweiten Drittel als Johnny vorgestellt und das dritte Drittel bekam als Referenzgruppe keinen Hinweis aufs Geschlecht. Für Mary wurde häufiger die Puppe gewählt, für Johnny der Football. Wurden den Erwachsenen keine Informationen über das Geschlecht gegeben, wählten Männer häufiger das neutrale Spielzeug (Beißring) und berührten das Kind weniger, Frauen nutzen stereotyperes Spielzeug (Puppe bzw. Football) und suchten mehr Körperkontakt. Über das genaue Setting lässt sich diskutieren, beispielsweise ob ein Football für das Spiel mit einem 3 Monaten alten Baby wirklich geeignet ist und sich auf den ersten Blick die Puppe nicht eher anbietet. In jedem Fall aber zeigt die Studie, dass Erwachsene sich in ihrem Verhalten vom behaupteten Geschlecht des Babys beeinflussen lassen, Männer anders als Frauen.

Auch in vielen nachfolgenden Studien konnte diese Ungleichbehandlung von Kindern in allen Lebensbereichen bis heute immer wieder nachgewiesen werden. Jungen wird ein größerer Krabbelradius zugestanden, während Mädchen sehr viel früher zurück auf den Schoß geholt werden. Weint ein Kind, vermuten die Erwachsenen bei einem vermeintlichen Jungen Wut, bei einem Mädchen dagegen Angst. Und schon bei kleinen Mädchen werden Schmerzen weniger ernst genommen, weil sie als empfindlicher gelten. Wenn Jungen dagegen Schmerz äußern, möglicherweise weinen, muss es schon wirklich schlimm sein. Und das hat natürlich bleibenden Einfluss auf die Kinder, sie entwickeln sich entsprechend anders: Jungen eher raumgreifend und wilder, Mädchen eher introvertiert, feinmotorisch und kommunikativ.

Eigentlich wollen wir Kinder nicht ungleich behandeln. Und trotzdem passiert es immer wieder aufs Neue, jeden Tag. Wir sind selbst so aufgewachsen und geprägt – und wenn wir nicht genauer darüber nachdenken, sensibilisieren und uns selbst beobachten (lassen), werden wir diese Prägungen ungefiltert weitergeben. Eine gute Hilfestellung ist Zählen und Strichlisten führen: Also nicht dem eigenen Bauchgefühl vertrauen, sondern bewusst überprüfen, wie man selbst agiert, was in den einzelnen Spielbereichen tatsächlich passiert: Wieviele Kinder beschäftigen sich den Tag über und wie lange mit der Verkleidungskiste oder den Konstruktionsspielsachen? Wer übernimmt dabei eine aktive Rolle, wer steht nur beobachtend daneben? Quantitativ und qualitativ betrachtet, wie ist die Verteilung von Jungen und Mädchen?

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Ein zweiter Tipp, sich des eigenen Handelns bewusst zu werden, ist die Umkehrung: Würde ich das, was ich gerade mache oder sage, genauso auch bei einem Kind anderen Geschlechts tun? Zum Beispiel Komplimente fürs Aussehen? Lob für bestimmte Handlungen? Die Aufforderung, sich mal ruhig an den Tisch zu setzen und zu basteln oder raus zu gehen aufs Außengelände und sich auszutoben? Beim Essen, Tischdecken, Aufräumen oder anderen Haushaltstätigkeiten zu helfen? Wie gehe ich mit Wut, Trauer, Freude und Glück, dem Nähe- und Distanzbedürfnis der Kinder um? Untersuchungen zeigen, dass Mädchen häufiger Komplimente für ihr Aussehen bekommen, Jungen dagegen häufiger für ihr Handeln. 

Nach Vorträgen und in Workshops werden wir oft nach geeigneten Maßnahmen gefragt, das Thema mit Kindern zu behandeln. Wir sind da eher zurückhaltend. Natürlich sind solche expliziten Projekte wichtig und haben ihre Berechtigung. Aber gendersensible Pädagogik und Erziehung ist weniger eine Technik, sondern vielmehr eine Haltung, die wir zunächst für uns selbst und dann im Team / in der Familie entwickeln müssen. Ohne diese Grundhaltung und Sensibilität wird auch das beste Projekt keine Wirkung entfalten können.

Geschlechterreflektierte Pädagogik und Erziehung beginnen bei den Erwachsenen. Sie beginnen mit der Erkenntnis, dass wir Unterschiede machen ­–und mit der Bereitschaft, uns selbst und unsere unbewussten Erwartungshaltungen zu reflektieren und zu überwinden: auf, dass wir in die Zukunft hinein sensibler handeln und kommunizieren. Wir werden immer Teil des grundsätzlichen Problems sein, aber wir können gleichzeitig auch Teil der Lösung sein und uns gemeinsam auf den Weg machen. In eine Welt, in der Geschlecht wohl immer eine wichtige Kategorie bleiben wird, aber Kinder nicht mehr so stark in der Entfaltung ihrer Persönlichkeiten eingeschränkt werden. 

Kritische Fragen für den Kita-Alltag von den Autor*innen der Rosa-Hellblau-Falle

  1. Gibt es Momente in Deiner Einrichtung, in denen Mädchen bzw. Jungen Vorteile haben?

  2. Welche Situationen fallen Dir ein, in denen Deine Kolleg*innen sich Mädchen und Jungen gegenüber unterschiedlich verhalten?

  3. In welchen Situationen verhältst Du Dich ggü. Mädchen und Jungen unterschiedlich?

  4. Welche pädagogischen Ziele hast Du in Deiner Arbeit mit Mädchen?

  5. Welche pädagogischen Ziele hast Du in Deiner Arbeit mit Jungen?

  6. Bevorzugen Mädchen und Jungen unterschiedliche Spiele oder Tätigkeiten? Was denkst Du, woran das liegt?

  7. Ist “Mädchen-Sein” / “Junge-Sein” ein (Bildungs-)Thema in Deiner Gruppe?

  8. Halten sich Mädchen und Jungen bevorzugt in verschiedenen Bereichen / Räumen auf? Was denkst Du, woran das liegt?

  9. Denkst Du, dass Mädchen und Jungen mit den pädagogischen Angeboten Deiner Einrichtung gleichermaßen zufrieden sind?

  10. Werden Gruppen nach Geschlecht getrennt, falls ja, vor welchem pädagogischen (nicht organisatorischen!) Hintergrund?

  11. Sind alle Tätigkeiten Deines Alltags fair auf das Team verteilt?

  12. Zur Beantwortung mancher der Fragen ist es hilfreich, sich nicht auf das eigene Bauchgefühl zu verlassen, sondern tatsächlich über einige Wochen hinweg Listen zu führen und zu zählen: wieviele / welches Kind hält sich wo auf, spielt mit wem, womit, wie lange. Denn der sog. ‘Unconscious Bias’ führt dazu, dass unsere subjektive Wahrnehmung beeinflusst ist von unbewussten Erwartungshaltungen.

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