Kümmern, Ernähren, Karriere machen, aus der Reihe tanzen: Schon im Kinderzimmer wird der Grundstein für eine ungleichberechtigte Zukunft gelegt – auch heute noch. Spielzeug und Kinderbücher bereiten Kinder bereits im Kindergarten auf die Erwartungen vor, die die Gesellschaft später an sie hat.
Farben sind doch nur Farben, warum muss man so ein Bohei darum machen, ob ein Paar Schuhe für Mädchen nun rosa und die Actionfigur für Jungen nun schwarz ist? Ist es in Wirklichkeit nicht egal, welche Farbe Spielzeug hat? Und ist es nicht so, dass Mädchen von sich aus zu rosa und Jungen eher zu blau greifen, sobald sie die Wahl haben? Das wäre viel zu kurz gedacht und diese Webseite sowie das Ziel, ein Aufwachsen fernab von Rollenklischees und Stereotypen zu ermöglichen, nicht notwendig. Wie immer im Leben entpuppt sich auch hier die Thematik als sehr komplex. Man könnte es auch so zusammenfassen: von nichts kommt nichts.
Tatsächlich ist durch wissenschaftliche Studien belegt, dass wir kleinen Menschen ab dem Moment nicht mehr neutral begegnen, ab dem wir wissen, welches Geschlecht sie haben (Quelle). Es gibt (noch) keine geschlechtsneutrale Wirklichkeit. Doch wir können als Eltern, Erziehende und Lehrende lernen, geschlechtersensibel zu handeln, Stereotype im Kindesalter zu überwinden und auf diese Weise Kindern unabhängig von ihrem Geschlecht wirklich die Wahl zu überlassen, was ihre Interessen und Wünsche betrifft.
Wie kann es aber sein, dass wir durch einen lila Puppenwagen den Grundstein für geschlechtliche Lohnunterschiede (Gender Pay Gap) und gar gesellschaftliche Teilhabe legen? So einfach geht die Rechnung natürlich nicht auf, es ist vielmehr ein enges Zusammenspiel aus vielen Faktoren.
Kinder bekommen ab Tag eins durch die Reaktionen ihres Umfeldes vermittelt, welches Verhalten von ihnen erwartet wird. Das geschieht von der Gegenseite oft ohne Hintergedanken, sondern liegt an unserer kollektiven Sozialisierung. Wir alle haben im Kindesalter eine Anforderung an unser Verhalten vermittelt bekommen. Und sei es nur durch scheinbar harmlose Vokabeln wie „lieb“ für Mädchen und „wild“ für Jungen. Doch nicht nur das soziale Umfeld beeinflusst ein Kind beim Aufwachsen, auch die Medien haben einen immer größeren Einfluss. Auch ich saß damals vor dem Fernseher und habe zwischen meinen Lieblingssendungen fasziniert die Werbung für Kinderspielzeug angesehen. Für die Jungs gab es den elektrischen Flitzer mit Allradantrieb oder mit gröhlenden Rufen beworbene Wasserpistolen. Die Mädchen wickelten hingegen liebevoll ihre kleinen Babypuppen und lackierten sich die Nägel in glitzernden Lackfarben. Ich habe diese Bilder aufgesaugt. Klar, auch ich wollte unbedingt die Wasserpistole, aber ebenso fasziniert war ich von der pinken Welt von Polly Pocket und Co. Eine Welt, die sich im Laufe meiner Kindheit mehr und mehr manifestierte.
Eine Kindheit und Jugend, getränkt in Rollenklischees
Spätestens als in der Grundschule meine besten Freundinnen Julia und Anna ihre Baby Born mitbrachten, war es um mich geschehen und ich wollte dazugehören. Die Nachmittage nach der Schule verbrachten wir damit, durch Spielzeugkataloge zu blättern und von kleinen Windeln, Buggys und Plastikschnullern für unsere Puppen zu träumen. Zwar rannte ich auch bewaffnet mit Stöcken durchs Feld und spielte Räuberbande, aber neben den Jingles der Werbeblöcke hatte sich eines schon vor meinem 8. Lebensjahr in meinem Hirn festgesetzt: Irgendwann, wenn ich groß bin, werde ich eine „echte“ Mama sein, mit einem „echten“ Baby. Ich würde Windeln wechseln und Schlaflieder singen, würde mich kümmern. Kurz: Ich würde Care-Arbeit leisten, auch wenn ich dieses Wort damals natürlich noch nicht kannte und auch vom Gender Pay Gap noch nicht gehört hatte. Das war meine Vorstellung, kein Traum oder Wunsch, sondern eine für mich gesetzte Tatsache. Eine wunderbar kindlich-naive Vorstellung von Care-Arbeit war es obendrein, wie ich als tatsächliche Mama heute weiß. Nie hätte ich die gedankliche Transferleistung hergestellt, dass dieses Thema auch Jungen, bzw. später Männer betreffen könnte. Die flimmerten schließlich nicht Puppen in ihren Armen wiegend über den TV-Bildschirm. Meine Kindheit in den Neunzigern war getränkt von stereotypen Rollenbildern und auch in meiner Teeniezeit änderte sich im öffentlichen Umgang damit wenig. Durch den Hype um Boybands und die fragwürdige Sexualisierung von Popsternchen wie Britney Spears erfuhren die klassischen Rollenbilder einen Höhepunkt. Die Popkultur löste die Spielzeugkataloge und Werbespots ab und machte einer ganzen Generation klar, welche Erwartungen an Frauen und Männer in unserer Gesellschaft gestellt werden.
Ich kann nicht mehr nachvollziehen, wann ich damit anfing, mich von dieser jahrelangen Gehirnwäsche zu emanzipieren, aber ich weiß, dass dieser Prozess noch immer andauert. Noch lange habe ich Sachverhalte, wie die Tatsache, dass Frauen für die gleiche Leistung weniger Geld verdienen, einfach als gegeben hingenommen. In Mädchenmagazinen habe ich damals gelernt, dass ich Lippenstift und Lidschatten benutzen muss. Der Girls-Ratgeber hat mir dann verraten, wie ich meinen Schwarm auf mich aufmerksam mache und in welchen Oberteilen meine Arme dick aussehen. Diese sogenannte Geschlechtsrollensozialisation ist multifaktoriell, also durch viele Einflüsse, bedingt. So werden in Kinderbüchern noch immer oftmals klassische Mutter-Vater-Kind Familien gezeigt, in denen der Papa lohnarbeitet und die Mutter sich um die Care-Arbeit kümmert. In Kinderliedern waschen die fleißigen Waschweiber und der Sascha ist ein wilder Junge. Dieses subtile Bombardement von Rollenklischees verfängt.
Das Ziel: Chancengleichheit und vielfältige Repräsentation
Doch zum Glück gibt es inzwischen tolle Initiativen und viel Fach- und Unterhaltungs-Literatur, die sich mit gendersensibler Erziehung und dem Einfluss von Stereotypen auf unsere Gesellschaft beschäftigen. Diese Webseite hier ist ebenfalls ein Herzensprojekt, das sich der Aufklärung verschrieben hat. Und die Tatsache, dass Du hier gelandet bist und diesen Artikel liest beweist, dass immer mehr Care-Giver sich aktiv mit den Rollenklischees unseres Alltags auseinandersetzen. Es geht nicht darum, Geschlechter abzuschaffen oder Gleichmacherei zu propagieren, wie oft in den Kommentarspalten unter entsprechenden Artikeln oder Social-Media-Posts befürchtet wird. Aber irgendwo auf dem Weg, den unsere Gesellschaft, Kultur und Wirtschaft eingeschlagen haben, sind Chancengleichheit und vielfältige Repräsentation verlorengegangen. Denn auch Regenbogen und diverse Familien, sowie Alleinerziehende oder Menschen mit Behinderung finden noch immer nicht ausreichend in der Öffentlichkeit statt.
Es wird eine Weile dauern, bis Sätze wie „Theo rennt wie ein Mädchen“ aus unserem Alltag verschwinden und alle Familienmodelle von der Politik berücksichtigt werden. Es gilt, den Einfluss, den unser Aufwachsen, die Art und Weise, wie Erwachsene auf Kinder reagieren, die Reproduktion von Stereotypen in der Popkultur und Literatur oder das Verhalten von Erziehenden und Lehrkräften auf unsere Entwicklung und persönlichen Wertekanon haben, anzuerkennen. Wir helfen dabei und machen das komplexe Thema für Dich verständlich. Das tollste daran, sich von Erwartungen und Klischees freizumachen ist die Erkenntnis, dass man nichts verliert, sondern alle dazugewinnen.