Kinder haben das Talent, ihre Aufmerksamkeit auch den kleinen Dingen zu schenken, die wir Erwachsene oft übersehen. Und so vergessen wir diese kleinen Ausschnitte unseres Lebens nicht, sondern behalten sie als kostbare Erinnerungen für immer im Gedächtnis. Manchmal haben sie eine Schwere und manchmal lassen sie uns schwerelos erscheinen. Diese Erinnerungen prägen unsere Identität und begleiten uns auf unserem Lebensweg.
Welches ist das erste Kleidungsstück, was ihr besessen habt und an das ihr euch erinnern könnt? Bei mir ist es dieses lila-weiße Kleid, das ich ganz stolz zu meiner Einschulung getragen habe. Die Erinnerung ist noch so lebendig in meinem Kopf, dass ich mich direkt zum 7. September 1991 zurückversetzt fühle und zaubert mir ein Lächeln ins Gesicht. Und was mich bei den Gedanken an die eigene Kindheit herumtreibt, ist die Frage, wie wir für unsere eigenen Kinder unvergessliche Momente schaffen und den grauen Alltag mit kunterbunten Geschichten füllen können.
Für diese Kolumne habe ich auch Kira Kim und Nika van Dinther gebeten, gedanklich in ihre Kindheit zurückzukehren. Ich habe sie nach ihren ersten Erinnerungen gefragt und mit welchen Klischees sie gerne in Bezug auf Kinderkleidung und Geschlechterrollen aufräumen möchten. Außerdem erzählen sie ganz offen und ehrlich, wie sie mit ihren Kindern den Familienalltag mit Farbe gestalten. Kommt mit auf diese spannende Reise!
Kurzvita Kira
Kira ist 40 Jahre jung und lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern,Fine (sieben Jahre) und Karl (zwei Jahre) in Berlin-Mitte. Momentan gönnt sie
sich eine kleine berufliche Auszeit. Wann und wohin es sie danach verschlägt?
Sie weiß es nicht und das ist auch gut so 😉
Kurzvita Nike
Wir kennen Nike van Dinther vor allem als Co-Gründerin von This is Jane Wayne und aus dem Internet, wo sie seit 2010 arbeitet, schreibt, Gedanken und Fotos teilt. Sie lebt mit ihrer Patchwork-Familie und ihren zwei Söhnen (neun und zwei Jahre alt) in Berlin-Kreuzberg.
Was ist das 1. Kleidungsstück, an das du dich als Kind erinnern kannst und welche Geschichte verbindest du damit?
Kira: Ich kann mich nicht wirklich an ein bestimmtes Kleidungsstück aus meiner Kindheit erinnern. Allerdings gibt es ein Kleidungsstück bzw. ein Outfit, welches ich bis heute aufbewahrt habe. Ich wurde mit 2,5 Jahren von meiner deutschen Familie aus Südkorea adoptiert. Am Tag meiner Ankunft, habe ich ein blau-weißes Spitzenkleid mit Trägern zum Binden getragen. Zusammen mit den Söckchen und Schuhen, die ich damals anhatte, bewahre ich das Kleid in einer besonderen Box auf.
Nike: Ich erinnere mich vor allem an ein braun-grünes Flanellhemd, das ich unbedingt zum Fototermin im Kindergarten tragen wollte. Meine Mutter hatte es am Morgen vergessen und ich weiß, dass ich meine Zähne zusammen biss, um nichts zu verraten – sie hätte mir ganz sicher einen dieser weißen Kragen umgebunden. Also saß ich schließlich mit Jeans und Hemd und stolz wie Bolle in einem kleinen Meer aus Kleidchen und Haarreifen. Damals kam ich mir erhaben und wie die coolste Socke auf Erden vor. Heute weiß ich: Diese persönliche Revolution wäre ohne Pick-Me-Girl-Attitüde, also den Wunsch viel lässiger zu sein als all ‘die anderen Mädchen’ und das damit einhergehende Abwerten, noch viel, viel besser gewesen.
In Onlineshops, aber auch im stationären Handel wird größtenteils immer noch nach Mädchen- und Jungenabteilungen unterschieden und auf den ersten Blick ist bei den Jungen alles Blau und bei den Mädchen alles Rosa mit viel Glitzer. Mit welchem Klischee rund um die Farbe bei Kinderkleidung oder -spielzeug möchtest du gerne aufräumen?
Kira: Jungs mögen Blau und Grün und sind stark, mutig und wild. Mädchen hingegen mögen nur Rosa und Pink und alles was glitzert. Diese Farbklischees sind natürlich schon längst überholt und gibt es bei uns Zuhause nicht. Genauso wenig wie stereotypischen Farben. Aber Fine hatte natürlich auch eine rosa-pinke Glitzerprinzessinnenphase. Was wahrscheinlich durch Kita und Co. nicht vermeidbar ist. Das haben wir nie fokussiert bzw. unterstützt, aber auch nicht verboten. Jetzt findet sie schwarz cool. Karl hingegen liebt Rosa und Pink und wir finden das ganz großartig. Wir lassen den Kindern fast immer freie Farbwahl, nur beim Stil und Schnitt legen wir bei der Großen manchmal ein Veto ein, falls zu kurz, zu eng, oder zu wild.
‘Jungs weinen nicht und Mädchen wollen alle eine rosafarbene Prinzessin sein.’ sind nur zwei Beispiele von überholten Rollenklischees und das schon bei Kindern. Mit welchen Rollenklischees sollte deiner Meinung nach endlich Schluss sein und wie reagierst du, wenn eine Person so einen Satz zu deinem Kind sagt?
Nike: Als mein erster Sohn geboren wurde, war ich überrascht über all die stereotypen Bemerkungen. Heute, weniger naiv als damals, aber immerhin noch hoffend auf Besserung, wundere ich mich nicht mehr. Ich werde wütend. Ohne Wut keine Veränderung, trotzdem weiß ich, dass konstruktive Gespräche mehr bringen als reines Dampfablassen. Über die Jahre habe ich gemerkt, dass höfliches Nachfragen das Gegenüber durchaus zum Überdenken gelernter Klischees anregen kann. Einmal stand auf dem Spielplatz ein Mädchen vor meinem Sohn und seinen lackierten Fußnägeln. Es war entsetzt: “Das darfst du nicht, du bist doch ein Junge!“ Ich habe mich dann kurz zu dem Mädchen gesetzt: „Oh, wer bestimmt das denn und magst du diese ‘Regel’ überhaupt?“ Aus dieser kleinen Situation ist eine schlauschöne Diskussion, beinahe auf Augenhöhe, entstanden. Ich fürchte nämlich dieses Kind hatte mit seinen fünf Jahren bereits mehr verstanden als viele Erwachsene: Es ist ok, mal daneben zu liegen. Wichtig, zu hinterfragen. Und absolut super, immer wieder dazuzulernen. Am Ende kam sogar der Papa dazu und musste zugeben: Nagellack macht zwar keinen Mann dieser Welt zum Feministen, aber richtig was her.
Wie bringst du Farbe in euren Familienalltag?
Nike: Um Farbe in unseren Familienalltag zu bringen, und zwar viel davon, biete ich vor allem sämtliche Farben an. Immer wieder, egal ob es um den Obstteller, Kleidung, Nagellack, Spielzeug oder Stifte geht. Jeder Tag ist neu und Geschmäcker ändern sich. Es kann sein, dass mein kleinstes Kind heute das pinke Rennauto wählt und morgen komplett in Blau und Schwarz gekleidet das Haus verlässt. Alles ganz egal. Mir ist nur wichtig, dass Entscheidungen so unabhängig und frei wie es als Teil unserer Gesellschaft überhaupt möglich ist, getroffen werden. Meine Kinder wachsen in einem bunten Spektakel auf, aber ich erwarte von ihnen in keiner Sekunde, davon genau so begeistert zu sein wie ich. Der Große mag zum Beispiel weiße Möbel – käme mir selbst nicht in die Tüte. Lust auf bunte Blumen hat er trotzdem immer.
Kira: Mein Mann und ich sind eher minimalistisch, auch in Bezug auf Farben. Mit den Kindern zogen bei uns also auch alle Farben mit ein. Auch wenn die Wände noch weiß sind, lieben wir die großen und kleinen Farbtupfer überall verteilt in der Wohnung, sei es durch Spielzeug, selbstgemalte Bilder, Kleidung der Kinder, oder auch Möbel. Am liebsten und meisten wird bei uns gemalt und gebastelt – je bunter, desto besser!
Liebe Kira und liebe Nike, danke für eure Zeit und das Teilen eurer Gedanken!
Ich freue mich schon auf meine nächste Kolumne,
eure Franzi