Wir sind uns weitgehend einig in dem Wunsch, dass unsere Kinder die gleichen Chancen und Möglichkeiten haben sollen, unabhängig von ihrem Geschlecht! Und vom Grundgesetz (Artikel 2 und 3) bis in die Lehr- und Bildungspläne von Kitas und Schulen hinein ist dieser Anspruch in den einschlägigen Gesetzen auch längst festgeschrieben. Wie kann es sein, dass trotz alledem die alltägliche Care-Arbeit und Sorgeverantwortung und Mental Load nach wie vor so ungleich und zulasten von Frauen verteilt ist wie in den 1960er Jahren? Und dass das durchschnittliche Vermögen, das Männer im Laufe ihres Lebens erwirtschaften, doppelt so groß ist wie das der Frauen? Wie kann es sein, dass auch 2023 noch mehr als die Hälfte der Väter überhaupt keine Elternzeit nimmt und nur 8% in Teilzeit arbeiten, um mehr Zeit für die Familie zu haben (bei Müttern liegt der Anteil bei 72%)?
Die Frage nach persönlicher Unabhängigkeit und einem selbstbestimmten Leben wird seit der Emanzipationsbewegung meist einseitig finanziell und von der Erwerbstätigkeit her beantwortet: Frauen sollen und sollten durch höhere Bildungsabschlüsse und eigenständige Erwerbskarrieren die Möglichkeit bekommen, sich aus der Abhängigkeit von ihren Herkunftsfamilien (Vätern) und später Ehemännern zu befreien. Was dabei lange Zeit konzeptionell vernachlässigt wurde, ist der Care-Bereich, die Versorgung und alltägliche Begleitung von Kindern, natürlich der Haushalt, aber auch die Unterstützung und Betreuung von Angehörigen und nahestehenden Menschen mit Pflegebedarf oder Behinderung. Solange diese Aufgaben und Verantwortlichkeiten weiterhin so ungleich und zulasten von Frauen verteilt bleiben, wird es schwierig werden mit der Gleichstellung und freien Entfaltung der Persönlichkeiten für diese und alle kommenden Generationen. Und bis heute werden Mütter verantwortlich gemacht für die Erziehung junger Männer, für die Vermittlung von Rücksicht, Empathie und Care. Warum nicht die Eltern? Denn ein abwesender Vater, der wenig Kontakt zu Haushalt und Kindern hat, vermittelt auch ohne Worte exakt dieselbe Botschaft: „Wenn’s um Kinder geht, bin ich / sind Männer nicht zuständig!“
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Ohne Equal Care kann es keine Gleichberechtigung geben. Das bedeutet konkret, dass Männer ihren Teil der Care-Arbeit und Sorgeverantwortung übernehmen und vor allem Söhne von Beginn an mit einbezogen werden in die alltägliche Familien- und Haushaltsarbeit. Jungen sollten auch hier Verantwortung übernehmen und sich als fürsorglich und kompetent erleben, wie das für Töchter fast zwangsläufig und selbstverständlich ist. Könnte damit beginnen, dass sich kleine Jungen spielerisch in die Sorgerolle einfinden, in der zwanglosen und unkommentierten Beschäftigung mit Puppen, Spielküchen oder Kaufläden.
Um sich in der eigenen Familie und Versorgungsgemeinschaft Klarheit zu verschaffen, wie Care-Arbeit insgesamt und im Detail aufgeteilt ist unter den jeweils Beteiligten – und Kinder gehören da ganz früh mit dazu! – haben wir im Rahmen der Vereinsarbeit von klische*esc e.V. Mental-Load-Tests entwickelt Diese gibt es für verschiedene alltägliche Settings, in der Familie, in Arbeitsteams, zu Weihnachten und speziell für Kinder und Jugendliche. Die Tests gibt es kostenfrei und in verschiedenen Sprachen zum Download und teilweise auch als digitale Tools (equalcareday.de/mental-load/).
Natürlich ist die finanzielle Gesamtsituation ein entscheidender Faktor, der ein unabhängiges und selbstbestimmtes Leben ermöglicht oder erschwert. Allerdings, und das wird gerne und systematisch ausgeblendet, bedeuten Unabhängigkeit und Selbstbestimmung eben auch und in erster Linie: für sich selbst sorgen zu können und nicht für jede Haushaltstätigkeit bezahlen zu müssen. Handwerk, Handarbeit und Haushaltsführung (auch Steuern und Versicherungen), Kochen und Vorratshaltung, Beziehungspflege, die Versorgung und Betreuung von Kindern und hilfsbedürftigen Angehörigen und insbesondere die Fähigkeit und Bereitschaft, auf sich selbst acht zu geben, Hilfe und Unterstützung zuzulassen (SelfCare) u.ä. sind die eigentlichen Grundvoraussetzungen für Unabhängigkeit, Selbstbestimmung und ein gutes Leben.
Wie sehr Männern diese Grundfertigkeiten des Lebens fehlen, zeigt sich daran, dass sie in festen Beziehungen wesentlich gesünder und zufriedener leben – und wie sich ihre Lebensqualität und ihre soziale Einbindung im Falle einer (plötzlichen) Trennung verschlechtern. Es zeigt sich in einer signifikant höheren Suizidrate und insgesamt einer im Vergleich zu Frauen deutlich kürzeren durchschnittlichen Lebenserwartung (-5 Jahre).
Auch im Care-Bereich, wie sollte es anders sein, sind wir stark gesellschaftlich geprägt. Es scheint eben gewohnt und normal, dass Frauen sich um Haushalt, Kinder, Ernährung und Pflege kümmern, und Männer allenfalls unterstützen. Es geht aber nicht darum mitzuhelfen, sondern eigenständig und selbst Verantwortung zu übernehmen! Deshalb sind wir in diesem lebensentscheidenden Bereich gefordert, unsere eigenen Verhaltensmuster zu durchbrechen, einen ehrlichen Blick auf unsere Beziehungsgefüge zu werfen und aktiv Veränderungsprozesse zu starten, damit wir bessere Vorbilder sein können für Kinder und die nächste Generation. Und wir sind in unserer Elternrolle gefordert, unsere Kinder gleichwertig zu behandeln, die Söhne mit einzubeziehen in die alltägliche Familien- und Hausarbeit: denn bereits hier beginnt sich die Schere zu öffnen, die wir dann später in der Erwachsenenwelt als Gender Care Gap zu beklagen haben.
Im Rahmen unserer Initiative Equal Care Day bieten wir Interessierten die Möglichkeit, tiefer ins Thema einzusteigen, sich zu engagieren und den notwendigen gesellschaftlichen Wandel mitzugestalten. Denn auch hier gilt: wir sind in unseren individuellen Möglichkeiten stark eingeschränkt, wenn sich nicht auch die gesellschaftlichen Verhältnisse insgesamt verändern. Damit das geschehen wird, braucht es den zivilgesellschaftlichen Druck von der Straße, von uns allen.
(Eine herzliche Einladung und der Link, um bei klische*esc e.V. mitzumachen)