Antworten auf das Bullshit-Bingo der Rosa-Hellblau-Falle

Papa spielt mit Kind mit dem Puppenhaus

„An ihr ist ein Junge verloren gegangen“ /„Du bist doch kein Mädchen!“ / „So ein kleiner Charmeur“ / „Typisch Junge“ / „Sie ist ja so ne richtige kleine Zicke“ / „Sie ist eben ein halber Junge“ / „Jetzt siehst du aus wie ein richtiger Junge“ / „So sind sie eben…“ 

Die Haarlänge, die Puppe, das T-Shirt, ein Geschenk … manchmal genügt eine Kleinigkeit und schwupps, tappt ein erwachsenes Familienmitglied in die Rosa-Hellblau-Falle und sagt einen der oben genannten Sätze. Ignorieren, ist ja nicht böse gemeint? Oder doch etwas sagen, weil es schon der dritte Satz heute ist?

Unsere jüngste Tochter hatte schon früh eine Faszination für Zahlen und mathematische Knobelaufgaben, die uns Eltern beeindruckte und ihre älteren Geschwister bisweilen überforderte, weil hier zum ersten Mal die gewohnte Regel nicht mehr galt: ich bin älter, also kann ich schneller und besser als du. Doch das Umfeld forderte eine stereotype Normalität und äußerte sich zum Beispiel im Nachbarn, der, als sie ihm stolz ihre Multiplikations- und Divisionskünste präsentierte, meinte: “Was, das kannst du schon rechnen? Das ist aber toll für ein Mädchen!” Zack! Was jetzt sagen, um die Tochter zu bestärken in ihren Interessen und Fähigkeiten und den Nachbarn nicht völlig vor den Kopf zu stoßen?

Natürlich hat man nicht immer die Kraft dagegen zu halten, und manchmal passt auch einfach der Ort oder die Zeit nicht, verschieben ist dann wohl die bessere Wahl. Damit das aber nicht zu oft passiert, schlagen wir zumindest vor, sich nicht zu viele Gedanken über die richtige Wortwahl zu machen. Denn es gibt sie nicht, die richtige Formulierung, um ein Familienmitglied darauf hinzuweisen, dass es grade in der Rosa-Hellblau-Falle steckt. Für Details ist später immer noch Zeit. Eine Reaktion in zwei Sätzen genügt ja sowieso nicht, um das eigene Anliegen bei diesem Thema zu vermitteln. Da hilft nur reden, reden und im Gespräch bleiben. Damit die Freundin, der Bruder, die Schwägerin, der Großvater eine Chance hat zu verstehen und sich selbst Gedanken zu machen über ein Thema, über das mit ihm*ihr unter Umständen noch nie jemand gesprochen hat.

Wir haben uns darauf geeinigt, dass es uns am Wichtigsten ist, unseren Kindern den Rücken zu stärken, wenn sie mit Kommentaren Fremder konfrontiert werden. Das hat langfristig mehr Effekt, als die Person zu korrigieren, die den Kommentar gibt. Anders sieht das in der eigenen Familie und näheren Freundschaft aus. Wenn das eigene oder auch ein fremdes Kind eingeschränkt wird, wenn ihm ein Wunsch verwehrt, eine Eigenschaft abgesprochen, eine Verhaltensweise kritisiert wird allein aufgrund seines Geschlechts, dann lohnt es sich, zur Unterstützung einzugreifen und sich zu positionieren. In erster Linie, damit das Kind spürt und erkennt: Ahso, das kann man auch anders sehen! Da springt jemand für mich ein! Ich bin nicht falsch, sondern die Aussage war Quatsch – IRGENDETWAS zu sagen, ist immer noch besser, als schweigende Zustimmung. An der Supermarktkasse, wenn ein Junge korrigiert wird, dass das rosa Überraschungsei nicht für ihn, sondern nur für Mädchen sei; aber auch beim Kleiderkauf: „Das ist aber ungewöhnlich für ein Mädchen!“, „Das ist doch eher was für Jungs!“. Auf dem Spielplatz, wenn ein Junge gemaßregelt wird, er solle sich nicht anstellen, nicht weinen, nicht immer wie ein – genervtes Augenrollen – Määädchen! Aber auch in der Schule, wenn Mädchen als soziale Puffer zwischen die ach so wilden Jungs gesetzt werden; auf der Familienfeier, wenn die Töchter mithelfen sollen, den Tisch abzuräumen, während die Jungs schon mal rausgeschickt werden sich auszutoben. 

Immer dann lohnt es sich, den Kontakt zum jeweiligen Kind zu suchen und einen Gegenpol zu setzen. Zum Beispiel: „Ach, ich glaube, ich nehme auch ein rosanes, die sind hübsch!“ oder „Die Regel sollten wir abschaffen, es sind ja nicht alle Jungs wild. / Es wollen ja alle vom Nachtisch, dann können wir jetzt alle gemeinsam abräumen“… 

Zwei Papas zeigen ihrem Baby ein Bilderbuch

Viele dieser Aussagen, die ja auch persönliche Angriffe enthalten, erwischen einen auf dem falschen Fuß, unvorbereitet und oft schutzlos, in der Öffentlichkeit. Und neben einer möglichst passenden Antwort gehen uns noch so viele soziale Begleitfragen durch den Kopf: was ist angemessen in Tonfall und Haltung? Wer hört sonst noch mit? Welche Folgen könnte mein Handeln haben, für mich, die beteiligten Kinder? Um Zeit zu gewinnen und sich nicht direkt angreifbar zu machen, gibt’s einen einfachen Trick: Eine Rückfrage stellen. Ganz harmlos, ohne eigenen Inhalt die Aussage der Person nochmal aufgreifen: „Warum findest Du das ungewöhnlich?“ oder „Wie meinen Sie das?“ oder, was immer passt: „Warum sagst Du das?“ 

Wer sich sicherer fühlt und keine Sorge hat, jemand vor den Kopf zu stoßen, kann auch versuchen, die Klischees einer Aussage zu übersteigern und zu ironisieren: „Oh, da haben Sie ganz recht. Mein Sohn bekommt deshalb auch keinen Erdbeerjoghurt, viel zu rosa! Ich mag mir gar nicht ausmalen, was das mit ihm macht?!“ Oder: „Aber sicher! In der Küche und im Haushalt ist Rechnen ja völlig unwichtig! Das braucht sie später gar nicht!“. Aber in den meisten Fällen ist es für alle Beteiligten besser, das Gespräch zu vertagen, bis Raum und Zeit ist für einen wirklichen Austausch, in dem man den tieferliegenden Sorgen und Wünschen auf die Spur kommt. Und dann helfen Fragen, Offenheit und ehrliches Interesse natürlich mehr als ironische Gegenwehr:

Fragen stellen, um ins Gespräch zu kommen:

  • „Was ist deine Sorge, wenn du sagst: „Ich ziehe einem Jungen doch kein Rosa an!“
  • „Was für einen Vorteil bringt es, Farben für Kinder nach Geschlecht zu sortieren?“
  • „Machst Du dir Sorgen, dass er für seine Puppe gehänselt wird? Ist diese Sorge es denn wert, ihm etwas zu verbieten, das ihm wichtig ist und das Mädchen erlaubt wird? Ist Dir nicht auch wichtiger, dass er merkt, dass Du hinter ihm stehst und ihn und seine Wünsche unterstützt, ganz egal, womit er spielt?“

Sagen, was Du Dir wünschst:

  • „Ich möchte, dass er*sie seine*ihre Lieblingsfarben selbst aussuchen kann. Wenn ich von „Mädchenfarbe“ spreche bzw. dem nicht widerspreche, dann treffe ich ja schon eine Vorauswahl.“
  • „Ich wünsche mir, dass niemand meinen Kindern vermittelt, sich um Kinder zu kümmern, sei Frauensache. Das ist eine Rollenverteilung, die weder Kindern noch Eltern guttut, also müssen sie sie auch nicht lernen. Ich hoffe, dass er mal ein fürsorglicher Vater wird, der sich gern und gleichberechtigt um seine Kinder kümmert.“

Von Dir selbst erzählen:

  • „Ich erinnere mich, dass ich die Farbe Rosa schön fand. Ich hatte früher eine lila Hose, die habe ich von meinem Bruder übernommen und war sehr stolz darauf.“
  • „Ich hatte jede Menge Puppen früher, obwohl sie mich nicht groß interessiert haben. Und mein Bruder bekam Spielzeug, das ich viel spannender fand. Ich weiß noch, dass mich das verletzt hat, dass sich niemand für meine Wünsche interessiert hat.“

Erzählen, was Dir Sorgen macht:

„Ich mache mir Sorgen, dass meine Kinder ihre Interessen oder bestimmte Wünsche irgendwann aufgeben, weil ihnen andere mit solchen Kommentaren immer wieder vermitteln, das was sie tun, sei „falsch“ oder „untypisch“. Mein Sohn soll sich nicht falsch fühlen, nur weil er etwas tut, von dem Du behauptest, das sei etwas, das nur Frauen tun. Er soll lernen, dass er sich frei entscheiden kann. Und ich frage mich, wie er sonst lernen kann, dass es wichtig ist, sich um Kinder (oder eben Puppen) zu kümmern, sie zu trösten, mit ihnen zu sprechen, sie zu versorgen.“

Etwas Positives finden:

„Ich freue mich, dass Du Luka beschützen willst, damit er nicht von anderen geärgert wird. Aber wenn Du ihm deshalb etwas vorenthalten oder sogar verbieten musst, dass er mag, dann wäre mir wichtig, dass wir einen anderen Weg finden!“

Mit den eigenen Eltern und Verwandten, mit unseren Kindern, in Kita, Schule und im Bekanntenkreis, aber auch im Rahmen von Vorträgen, Workshops und Seminaren, also auch mit pädagogischen Fachkräften, haben wir in den vergangenen Jahren viele solcher Gespräche geführt. Nicht immer erfolgreich, denn das Thema ist ein großes, emotionales, dass die eigene Sozialisation und Weltsicht in Frage stellt. Und nicht immer sind Menschen offen genug oder in der Situation, sich dem zu stellen. Und dann gilt wieder: dem eigenen Kind den Rücken zu stärken ist wichtiger, als andere mit Wissen zu versorgen, das von der falschen Person oder zur falschen Zeit kommt.

Papa trägt sein Kind auf den Schultern

Bullshitbingo

Vor allem die wiederkehrenden Vorbehalte, Angriffe und vermeintlichen Gegenargumente lassen sich auf so wenige Punkte reduzieren, dass wir sie in einem ‘Bullshit-Bingo der Rosa-Hellblau-Falle’ zusammengefasst und entsprechende Studien dazu gesammelt haben für eine schnelle und sachliche Antwort. Hier ein Beispiel:

Aber habt ihr bedacht, dass Jungs schon allein wegen des Testosterons von Natur aus wilder sind?

Das ist ein weit verbreiteter Gedanke, der allerdings einen großen Haken hat: vor der Pubertät ist der Testosteronspiegel bei Kindern in etwa gleich hoch – er liegt nahe Null. Studien zeigen aber, dass von Jungen grundsätzlich ein wilderes Verhalten erwartet und akzeptiert wird, und Mädchen häufiger dazu angehalten werden, ruhig und brav zu sein. Auf diese Weise erfahren Kinder schon ganz früh, wie Erwachsene sich einen ‘richtigen’ Jungen vorstellen, und welche unterschiedlichen Normen die Gesellschaft für sie bereithält. Die Wechselwirkung von Verhalten und verändertem Hormonspiegel ist dagegen unterschätzt: Väter, die sich um ihre Kinder kümmern, haben höheren Oxytocinspiegel (=Bindungshormon) und einen vergleichsweise niedrigeren Testosteronspiegel, der dann wieder steigt, wenn sie sich anderem zuwenden. Sport und Wettkampf zum Beispiel sorgen dafür, dass der Testosteronspiegel steigt, bei Frauen wie bei Männern – was wiederum belegt, dass unser Verhalten immer auch uns selbst verändert. Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass der Testosteronspiegel irrelevant ist für die Beurteilung von kindlichem Verhalten, im Gegensatz zu sozialen Prägungen und Erwartungshaltungen, denen Kindern entsprechen wollen, um normal zu sein, dazuzugehören und nicht als seltsam, untypisch, komisch betrachtet zu werden.

Unsere Antworten auf das Bullshit-Bingo der Rosa-Hellblau-Falle gibt es auf unserem Blog und die Kommentare haben wir auf einer Postkarte zusammengefasst, mit der sich leichter ins Gespräch kommen lässt. Sie ist im Shop von klische*esc e.V. erhältlich.

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